Freihandel als Fundament von Frieden und Demokratie
Warum offene Märkte mehr sind als ein ökonomisches Prinzip
25.06.2025

Ein politischer Blick als Steuerberater auf den Handel als Motor unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft:
In einer Welt zunehmender Handelskonflikte und protektionistischer Reflexe gerät ein zentrales Prinzip moderner Wirtschaftsordnung in Vergessenheit: der freie Handel. Was heute oft als technokratisches Regelwerk oder neoliberales Marktinstrument verstanden wird, war einst mehr – ein gesellschaftliches, demokratisches und sogar friedensstiftendes Projekt.
Der aktuelle Handelsstreit zwischen den USA und China – entfacht durch Strafzölle unter Donald Trump – zeigt deutlich, wie fragil die globale Ordnung geworden ist. Zwar sind die ökonomischen Folgen bisher moderat (laut IWF sinkt das globale Wachstum um 0,5 Prozent), doch viel gravierender ist die politische Botschaft: Handelsfragen sind nicht länger Ausdruck kooperativer Weltordnung, sondern Instrumente machtpolitischer Selbstbehauptung geworden.
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Der freie Handel war nie nur eine Frage der Wirtschaftspolitik. Im 19. Jahrhundert, insbesondere in Großbritannien, war der Freihandel Teil einer nationalen Identität – fast eine Religion. Die Abschaffung der Getreidezölle 1846 war nicht nur eine wirtschaftliche Entscheidung, sondern ein moralisches und gesellschaftliches Statement. Handel galt als Ausdruck von Fortschritt, Gerechtigkeit und demokratischer Kontrolle über wirtschaftliche Macht.
Großbritannien, damals führende Handelsnation, öffnete seine Märkte trotz zunehmender Konkurrenz – in der Überzeugung, dass Zölle letztlich sich selbst und der Bevölkerung schadeten. Der Gedanke: Freihandel schützt vor korrupten Lobbys, stärkt den Konsumenten und schafft internationale Verbindungen, die kriegerische Auseinandersetzungen unwahrscheinlicher machen.
Konsumenten als politische Kraft
Vor dem Ersten Weltkrieg war die Handelspolitik zentrale Massenpolitik. Freihandelsbewegungen mobilisierten breite Bevölkerungsschichten – von Arbeitern über Hausfrauen bis hin zu Unternehmern. Der „Konsument“ wurde politisch aufgeladen: Als Repräsentant des öffentlichen Interesses, unabhängig von sozialem Status oder Wahlrecht. In Großbritannien war der „billige Laib“ Weißbrot ein Symbol für Lebensqualität und ein Argument gegen protektionistische Bestrebungen. Auch in Deutschland wurde diese Debatte geführt – wenn auch mit anderem Fokus. Sozialdemokraten wie Eduard Bernstein sahen im freien Handel ein Mittel zur Stärkung der unteren Klassen.
Natürlich: Freihandel war nie ein Allheilmittel. Die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Großbritannien und Deutschland verhinderte den Ersten Weltkrieg nicht. Auch der globale Süden hatte gute Gründe, auf temporären Protektionismus zu setzen, um eigene Industrien zu schützen. Doch selbst linke Bewegungen wie Che Guevaras kämpften nicht gegen den Handel an sich, sondern für einen fairen Zugang – also für eine gerechte Form des Freihandels.
Nach 1945 institutionalisierten die USA mit dem GATT und später der WTO eine regelbasierte Ordnung des Welthandels. Über Jahrzehnte profitierten Konsumenten weltweit von sinkenden Zöllen und wachsenden Märkten. Doch mit dem Aufkommen globalisierungskritischer Bewegungen – von Seattle 1999 bis zu Occupy Wall Street – wandelte sich das Bild: Der Freihandel wurde zunehmend als Vehikel der Eliten statt als Ausdruck demokratischer Teilhabe wahrgenommen.
Die aktuelle Renaissance von Zöllen – etwa durch Trump oder jüngst auch in Europa diskutiert – zeigt: Der Freihandel hat seine emotionale und moralische Verankerung verloren. Er wird zunehmend technokratisch verhandelt und verliert dadurch seine politische Strahlkraft. Dabei war gerade diese Strahlkraft sein größter Hebel: Als Werkzeug zur Einhegung monopolistischer Macht, zur Stärkung des Einzelnen als Konsument und Bürger – und als Brücke zwischen Nationen.
In Amerika fordern heute einige Bundesstaaten mehr Ordnung in der Zollpolitik, nicht deren Abschaffung. In Europa erinnert man sich an historische Erfolge – ohne sie glaubwürdig politisch zu kommunizieren. Und weltweit fehlt es an einer klaren Vision, was Handel in der Zukunft leisten kann – außer Wachstum.
Was bedeutet das für uns?
Freihandel muss wieder politisch gedacht werden. Nicht als reines Marktprinzip, sondern als gesellschaftliche Infrastruktur, die Demokratie, Transparenz und Frieden unterstützt.
Der Konsument ist mehr als ein Kunde. Wer Freihandel stärkt, stärkt das Individuum gegenüber Kartellen, Korporationen und staatlicher Willkür.
Regionale Abkommen sind kein Rückschritt. Sie können Brücken bauen, wenn globale Organisationen wie die WTO in Blockaden geraten – vorausgesetzt, sie bewahren den Geist des offenen Marktes.
Protektionismus schafft keine Resilienz. Wirtschaftliche Selbstbehauptung durch Handelsbarrieren ist selten nachhaltig – und immer riskant für internationale Stabilität.
Fazit
Der Freihandel war historisch ein Werkzeug zur Demokratisierung der Wirtschaft, zur Förderung des Friedens und zur Begrenzung monopolistischer Macht. Diese Perspektive ist heute weitgehend verschwunden – verdrängt von kurzfristigen machtpolitischen Interessen und populistischen Reflexen. Doch gerade in einer Zeit globaler Unsicherheiten sollte der Gedanke nicht verloren gehen, dass wirtschaftliche Offenheit mehr bewirken kann als Wachstum: nämlich Vertrauen, Stabilität und Zusammenarbeit.
Webersinn Behr & Cie. steht für ein ganzheitliches Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft. Unsere Beratung im internationalen Handels- und Steuerrecht ist nicht nur regelbasiert – sondern wertegeleitet. Denn wir glauben: Dauerhaft erfolgreicher ist, wer den Menschen im System nicht vergisst.